Glaubenssatz: Ich bin eine Hochstaplerin (Hochstaplersyndrom)

 Ich bin eine Hochstaplerin in meinem Job. Zumindest denke ich das. Was ist, wenn ich eigentlich nichts kann? Was, wenn meine Maske, meine Verkleidung irgendwann auffällt und dann der Mensch zum Vorschein tritt, den ich die ganze Zeit mit mir herumtrage? Was wenn das alles, was ich bereits geschafft habe, in Wahrheit eigentlich nur eine Lüge ist? Meine Bemühungen nichts gebracht haben, meine Erfahrungen nicht so wertvoll sind, meine Talente eigentlich doch nicht dem entsprechen, wie sie äußerlich wirken? Wenn ich doch nur alles vortäusche, einen Menschen, der fähig und stark ist, den die Leute von außen sehen, aber im Inneren doch so klein ist? 

 

 

Diese Glaubenssätze sind so stark in meinem Kopf verankert. Denn, es gab immer Menschen, die nicht an mich geglaubt haben, die mich niedermachten, diesen kleinen verzweifelten Menschen, tief in mir drinnen bestärkt haben und ihn mit ihren Worten und Taten Wasser gaben, damit sein Same aufkeimt und wie Unkraut in mir wuchert. Ein ausschlaggebender Punkt war das Praktikum in meinem Studium, es war die reinste Hölle für mich. Meine Anleiterin hasste mich, sie diskriminierte mich, sagte zu mir, ich sei nicht bereit für einen Job wie diesen, da ich doch noch viel zu jung dafür sei. Man müsste mich eher schützen. Schützen vor was? Wollte sie nicht eigentlich nur die anderen vor mir schützen? Weil sie dachte, dass eine Gefahr von mir ausgehen würde? Ich wollte so gerne etwas erwidern, ihr widersprechen, aber ich fand nicht die passenden Worte. Stattdessen nahm ich es hin. Ich schlief schlecht in der Zeit. Ich war oft krank. Hatte jeden Tag eine riesengroße Angst, bei der Arbeit zu erscheinen. Einmal saß ich im Büro, es waren sehr viele Menschen anwesend, es war kurz vor 12 Uhr und die Stelle sollte gleich schließen. Es waren zu viele Menschen in diesem kleinen Raum, zu viele Eindrücke, zu viele Reize, zu viel Überforderung, ich kam damit nicht zurecht. Vor mir verschwamm alles, ich sah die Gesichter nur noch durch einen Schleier aus Tränen, ihre Körper waren nur noch Umrandungen. Mein Herz klopfte wie wild. Ich bekam die blanke Panik. Ich wollte, nein, ich musste hier raus. Eine Kollegin, die am Schreibtisch gegenüber saß fragte mich, was mit mir los sei, ich konnte es nicht beantworten. Ich sollte lieber nach Hause gehen. Im Nachhinein musste es eine Panikattacke gewesen sein. Einen Tag später ging es mir immer noch schlecht und ließ mich für diesen Tag noch beurlauben. Das war letztendlich der ausschlaggebende Punkt für sie gewesen. Ein paar Tage später, alles schien wieder normal zu sein, erwartete mich ein Kollege schon bei meinem Ankommen mit ernsten Worten. „Wir müssen reden“, sagte er nicht gerade Freude versprühend. Ich fragte ihn was denn los sein, ob es um etwas Ernstes ging. Er erwiderte meine Frage mit Ja. Meine Anleiterin stand neben ihm. Zwei gegen einen. Sie beide gegen mich als einzelne Person. In diesem kleinen Raum. Ich fühlte mich wie in einem Verhör. Sie hätten schon eine neue Stelle für mich rausgesucht, sagten sie mir, sie alle haben beschlossen, dass es das Beste für mich sei, diese Stelle zu verlassen und zu etwas Kleinerem zu wechseln. Warum hat man das nicht mit mir besprochen, fragte ich. Mir wurden die Karten auf den eiskalten Tisch gelegt und ich konnte sie nicht mehr ändern. Alle waren gegen mich. Gegen diese eine, nutzlose Praktikantin. Mir flossen Tränen in die Augen. Ich musste auf einmal bitterlich anfangen zu weinen. Ob das denn wirklich ein Anlass zum Weinen sei, wurde ich gefragt. Manchmal müssen Menschen vor sich selbst geschützt werden, sagte meine Anleiterin zu mir. Aber sie meinte eigentlich damit, dass andere Menschen vor mir geschützt werden müssen. So doof war ich nun auch nicht, um das nicht zu erkennen. Sie empfanden mich als nicht fähig. Ich stand auf, ich musste nach draußen, frische Luft schnappen, eine Runde drehen. Am Ufer der Spree starte ich lange ins Wasser. Etwas was so verheißungsvoll angefangen hatte, musste so enden. Und wieder einmal ich. Ich war die kleine nichtsnutzige Praktikantin, die eine Last für die anderen war und der man nichts zutraute. Ich dachte, ich würde hier etwas für mein Leben lernen. Etwas Gutes mitnehmen. Stattdessen musste ich wieder einmal lernen, dass es Menschen gibt, die nicht hinter einem stehen und die nicht immer gutes mit einem im Schilde führen. Die nicht an einen glauben.

Das ist jetzt zwei Jahre her. Mittlerweile habe ich meinen Bachelor abgeschlossen und stehe kurz vor meinem ersten richtigen Job. Die Mitarbeitenden waren von mir angetan und würden mich gerne mit ins Team aufnehmen wollen. Nach so vielen Absagen habe ich eine Chance bekommen. Eine Chance mich zu beweisen, in das Berufsleben einzusteigen und vielleicht sogar aufzusteigen. Und trotzdem fühlt sich da irgendwas falsch an. Ich habe Angst, dass jemand früher oder später doch herausfindet, dass ich nichts kann, dass meine Arbeit als mangelhaft angesehen wird, dass ich im Team nicht ankomme, dass mir vorgeworfen wird, dass ich keine Ahnung hätte, da ich zu jung sei. Dass meine psychische Instabilität hinter dem Menschen entdeckt wird, der ich vorgebe zu sein. Dass ich wieder durch eine erneute Hölle gehen muss. Und dass das nie ein Ende findet. Dass keiner hinter mir stehen wird, keiner für mich Partei ergreift, wenn meine Kompetenzen angezweifelt werden. Dass es niemanden gibt, der an mich glaubt. Denn vielleicht glaube ich selbst nicht an mich. Viel zu oft denke ich, dass ich Menschen etwas vormache, dass ich vortäusche eine Person zu sein, die ich gar nicht bin. Dass die anderen das irgendwann begreifen, hinter mein gestricktes Lügennetz steigen und mich entlarven. Sehen, dass ich nur doch nur ein kleiner zerbrechlicher, instabiler Mensch bin, der eigentlich ganz dringend Hilfe braucht. Weil ich selbst mit meinem Leben nicht zurechtkomme. Da ich immer wieder bei bestimmten Dingen mit mir selbst zu kämpfen habe, gegen meine eigenen Dämonen kämpfe. Wie verdammt nochmal soll ich Menschen helfen, wenn ich doch selbst dringend Hilfe brauche? Weil ich eine psychische Erkrankung habe, die sich immer wieder in mir breit macht und mich zurückwirft. Die sich gegen mich stellt und zu mir sagt, dass ich wertlos sei. Zu sehr haben sich die Worte aus der Vergangenheit wie Kerben in meine Seele geschnitten und sie werden immer wieder sichtbar. Was wenn ich völlig falsch in diesem Job bin? Wenn ich doch lieber etwas anderes machen sollte, etwas das ganz weit entfernt von Menschen ist. Wo ich in der hintersten Ecke des dunkelsten Zimmers, welches sich auffindet, sitzen kann, damit ich ja niemanden zu nahekomme. Da ich eigentlich zu gefährlich für die Menschen dort draußen bin. Weil ich nicht fähig bin, nicht imstande bin, Menschen zu helfen. Manchmal gefällt mir der Gedanke sogar, mich hinter etwas zu verstecken, damit ich niemanden sehen muss, ich niemanden an mich heranlassen muss. Mich niemand sieht. Ich niemanden mehr etwas vormachen muss.

Aber es gibt auch noch einige, wenige Menschen, die an mich glauben. Die das Gute in mir sehen. Die mir etwas zutrauen. Die, die die guten Keime und Samen in mir gießen und eine blühende Landschaft in mir heranwachsen lassen, die das Unkraut langsam aber allmählich überwuchern. Und meinen Glauben an mich selbst zurückgewinnen lassen. Die, die mir immer wieder sagen, dass ich eine starke und fähige Person sei, die unter den Trümmern meines Selbst zu liegen scheint. Die das Gute in anderen Menschen aufblitzen lassen. Einer meiner besten Freunde outete seine Depressionen bei seiner Arbeit, letztens las ich einen Beitrag von einer anderen Person auf Instagram, die ihren Arbeitgeber einen Brief schrieb, dass sie psychisch instabil ist und unter Panikattacken leidet und dass dieser doch bitte Rücksicht darauf nehmen soll. Und dieser reagierte sogar gut darauf. Aber ich bin nicht so stark. Noch nicht. Meine Erkrankung vor fremden Menschen zu äußern und klar und deutlich dazu zu stehen. Dass es mir auch mal nicht gut geht. Dass es Tage gibt, an denen nicht aus dem Bett aufstehen möchte. Lieber liegen bleiben und den ganzen Tag die Decke anstarren möchte. Dass ich unter vielen Ängsten leide und mich an diesen Tagen unendliche Schmerzen quälen. Dass ich eigentlich ein kleiner, zerbrechlicher Mensch bin, der auch manchmal Hilfe braucht. Dass ich ein Mensch mit einer dunklen Vergangenheit bin, obwohl ich noch nicht alt bin. Wann werde ich dieser starke Mensch sein, der zu dem allem, zu sich selbst steht? Der zugibt ein Hochstapler in manchen Dingen zu sein. Der einsieht, dass das nicht schlimm ist, weil es letztendlich doch allen Menschen so geht? Ich bin ein Mensch mit Ecken und Kanten und das sollten alle Menschen auch sehen können. Meine Fehler und meine Vergangenheit gehören zu mir und damit auch die Glaubenssätze, die sich über die Jahre verfestigt haben. Aber das ist nicht schlimm. Denn Glaubenssätze kann man aufbrechen, sie müssen nicht für immer bleiben. Sie können durch neue Sätze ersetzt werden. Sätze wie: Ja, ich habe instabile Zeiten, aber es gibt Zeiten, in denen ich stabil bin. Meine Instabilität beeinträchtigt meine Arbeit nicht. Ich habe Erfahrung gesammelt und kann diese nun einsetzen und anderen Menschen damit helfen. Wenn mir mal alles zu viel wird, kann ich um Hilfe bitten. Es ist nicht schlimm um Hilfe zu bitten. Jeder Mensch braucht mal Hilfe. Das ist ganz normal. Es gibt Menschen, die mich für kompetent erachten und an mich glauben. Auch wenn ich es nicht selber tue.

Und durch diese Sätze kann die blühende Landschaft in mir gegossen werden, welches das Unkraut langsam und allmählich überwuchert und meine Stärken werden eines Tages meine Schwächen übertrumpfen.

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