o1.o3. - Frühlingsanfang und depressive Stimmung

 Heute ist der 01.03. Heute ist metrologischer Frühlingsanfang. Und heute beginnt mein Lieblingsmonat. Leider mit einem Stimmungstief. Ich hänge da bereits seit fünf Tagen drin. Zwischendurch war es ein wenig besser. Habe mich am Wochenende mit Freunden getroffen, beim Umzug geholfen. Aber seit zwei Tagen, als ich in einen Konflikt mit einer Freundin, wegen meiner Wäsche, die ich vor unserem Treffen noch aufhängen wollte, geraten bin, bin ich wieder richtig im Tief. Ein Tief was ich auszublenden versuche. Was ich mir nicht selbst eingestehen kann. 



Ich arbeite weiter, so gut ich kann, doch meine depressive Verstimmung macht mich zu einem unempathischen, lustleeren Menschen, was im sozialen Bereich nicht wirklich von Vorteil ist. Ich höre mir die Probleme meiner Klienten an, doch eigentlich sind sie mir egal. Sollen sie mich doch in Ruhe lassen, mit ihren Sorgen, Ängsten, whatever. Ich habe meine eigenen. Die ganzen (blöden) Gesichter meiner Kollegen kann ich auch schon nicht mehr sehen. Was die zu erzählen haben interessiert mich nicht. Ich will mich einfach in mein Bett legen, weinen und schlafen. Interaktion ist in jeglicher Form zu viel, zum Glück steht heute kein Hausbesuch an. Ich versuche mich hinter nett formulierten Mails zu verstecken. Irgendwie professionell zu wirken. Naja, meine Stimmungsschwankungen sind der ein oder anderen Kollegin heute im Team sicher schon aufgefallen. Wie peinlich! Gestern fragte mich eine Kollegin auf dem Nachhauseweg, ob es mir körperlich nicht gut ginge, da ich es gestern kurz ansprach. „Bitte fang nicht auch noch an, mich therapieren zu wollen.“, dachte ich mir nur. Ich hielt die Antwort kurz, meinte, dass ich so etwas lieber privat halten möchte. Obwohl es vielleicht doch keine so schlechte Idee wäre, sich mal jemanden anzuvertrauen, dachte ich mir noch dazu. Aber die Angst davor in irgendeine Schublade gesteckt zu werden, ist mir dann doch zu groß. Klar, in der Sozialen Arbeit haben alle irgendwie einen Schaden, trotzdem ist die Stigmatisierung auch in diesem Bereich noch immer sehr hoch. Und wenn man dann noch lauter Fachidioten um sich herum hat, die meinen, sich mit komplexen Störungsbildern der Psyche bestens auszukennen – nein Danke! Dann möchte ich doch lieber nichts sagen, lieber schweigen, so tun als ob nichts wäre. Eine Diagnose habe ich ja bereits am Donnerstag von meiner Psychotherapeutin bekommen. Anpassungsstörung. Als ich das das erste Mal gelesen habe, kurz nachdem sie mir das Papier in die Hand drückte, war ich für einen kurzen Moment schockiert, dachte ich doch immer, mich ganz gut anpassen zu können. Später, als ich dann in der S-Bahn die Definition zu der Störung las, wurde es mir allmählich klarer. Der ICD-10 beschreibt die Störung wie folgt:

„(..) es (handelt) sich um Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im Allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten. Die Belastung kann das soziale Netz des Betroffenen beschädigt haben oder das weitere Umfeld sozialer Unterstützung oder soziale Werte. Sie kann auch in einem größeren Entwicklungsschritt oder einer Krise bestehen.“

Ja, das passte vielleicht schon besser zu mir. Obwohl ich mir immer noch nicht ganz sicher war, worauf sich meine Therapeutin damit bezog, ob auf meine Vergangenheit oder auf die Erlebnisse in der Gegenwart. Doch ja, ich habe das Gefühl, dass ich immer dann mit meinen Gefühlen schlecht zurechtkomme und ich in ein depressives Tief falle, wenn sich Umstände ändern, auf die ich keinen Einfluss habe (wie ein Verlust, eine Enttäuschung oder eine Veränderung im Team) oder Konflikte die nicht gelöst werden konnten (weil sich die Person unverfügbar macht). Ich weiß, dass mir mein Leben schwerfällt, wenn ich scheinbar keine Kontrolle habe und meine kleine Welt, mein kleines Schiff auf dem ich lebe, ins Wanken gerät. Dann schlagen die Wellen hoch bis auf das Deck, und irgendwie fehlen mir die Mittel das Schiff im Sturm unter Kontrolle zu bekommen. Wo ist der Anker? Warum dreht sich das Steuerrad nicht? Wo sind die Matrosen, die mir helfen?

Anpassungsstörung. Komisches Wort. Noch nie gehört von. Ich übergab das Schreiben meinem Arzt, doch die erhoffte Aufklärung über dieses Wort, diese Diagnose fand nicht statt. Er fände es gut, dass ich jemanden zum Reden habe, dass ich Werkzeuge für die Seele gestellt bekomme. Sinnentleerter Bullshit, dachte ich mir nur. Du hast wirklich überhaupt keine Ahnung, wie ich mich fühle. Und dann war ich wieder zu stolz, um zu sagen, dass es mir trotz der beginnenden Therapie oder vielleicht gerade deswegen nicht gut geht. Dass ich vielleicht doch etwas frei bräuchte, da ich mich gerade nicht wirklich imstande fühle zu arbeiten. Weil meine Arbeit gerade unendlich anstrengend ist. Also verließ ich die Arztpraxis wieder. Mit inhaltslosen Worten im Gedächtnis. Und ohne Krankenschein. Dafür mit meinem vermeintlichen Stolz, zu gut dafür zu sein. Du musst dich zusammenreißen, denke ich mir. Du hast schon andere depressive Episoden überstanden. Ablenkung tut vielleicht doch ganz gut, auch wenn die Arbeit die Ablenkung ist. Dann musst du dich nicht so viel mit dir auseinandersetzen. Ich muss die Woche rumkriegen, denke ich mir. Einfach nur die Woche rumkriegen. Um dann am Wochenende einfach schlafen zu können und nichts fühlen zu müssen. Abgelenkt sein von der Arbeit, von den Problemen der anderen. Beschäftigt mit mir und meinen Problemen. Ich kann mich immer noch nicht entscheiden, was gerade besser ist.

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