Mein Körper gehört mir! - Oder?
Für mich war sexuelle Freiheit schon immer wichtig gewesen. Ich möchte darüber entscheiden, wann, mit wem, wo und wie oft ich Sex haben möchte. Doch das ist als Frau manchmal ganz schön schwierig. Dennoch fühle ich mich privilegiert, dass ich als deutsche, weiße Frau meine Sexualität meist so ausleben kann wie ich es mir gefällt, denn ich weiß, dass es Kulturen gibt, in denen Frauen ein solches Privileg fehlt und sie hart dafür bestraft werden, wenn sie ihre sexuellen Freiheiten ausleben (wollen). Aber weiß ich auch, dass es trotz der Kämpfe und der Emanzipation der Frauen in Deutschland der letzten hundert Jahre, es immer noch Stigmatisierungen und Diskriminierung gegenüber Frauen gibt, die sich sexuell gesehen das nehmen, was sie wollen. Und auch der Blick der Gesellschaft, gegenüber den Frauen, die selbstbewusst zu ihrem Körper und ihrer Sexualität stehen, ist eher ein strafender. Frauen werden auch heutzutage noch immer verurteilt, wenn sie sich herausnehmen, ihre Sexualität frei auszuleben, so wie sie es wollen. Dazu gehören auch Menschen, die uns nahestehen.
Ich denke da zum Beispiel an meine Mutter. Ich weiß nicht, ob sie es gut finden würde, wenn sie wüsste, wie ich mit meiner Sexualität umgehe. Sie selbst hatte vor meinem Vater nur einen Freund gehabt und ich denke, dass sie sich es zumindest wünschen würde, dass ich ähnlich mit meiner Sexualität umgehe. Vor zehn Jahren, als ich noch minderjährig, aber bereits im Teenageralter war, ließ sich meine Mutter von ihrer Frauenärztin beraten, ob es sinnvoll wäre, wenn ich die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs bekäme. Die Frauenärztin soll meiner Mutter damals gesagt haben, dass sie diese nicht als sinnvoll erachte, da nichts passieren könne, wenn meine Mutter mich richtig erzogen hätte. Ich wusste damals nicht wirklich, was das heißen sollte, „richtig erzogen worden zu sein“, aber ich konnte es mir schon irgendwie denken. Laut der Frauenärztin waren Mädchen und Frauen nicht richtig erzogen, wenn sie mit vielen Männern schliefen. Und diese Aussage kam von einer Frau, wohlgemerkt. Schlimm genug, dass eine Ärztin so denkt, die Frauen auf ihren Weg zur Emanzipation unterstützen soll, weitaus schlimmer finde ich das deutsche Strafrecht, wie es bei Straftaten bezüglich sexueller Handlungen vorgeht. Ich muss klar und deutlich sagen, dass ich nicht finde, dass sich alle Situationen sexueller Taten im deutschen Strafrecht wiederfinden lassen. Der Paragraph 177 Absatz 1 sagt aus, dass jemand bestraft wird, der sexuelle Handlungen gegen einen „erkennbaren“ Willen der anderen Person ausübt. Aber was ist denn ein „erkennbarer Wille“? Wer sich schon einmal in einer Situation wiedergefunden hat, sexuelle Gewalt zu erleben, der weiß genau, dass man seinen Willen nicht immer klar und deutlich und somit erkennbar zeigen kann. Gerade wenn sich Täter und Opfer kennen, sich einander vertraut sind und es während des Aktes auch zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen kam, heißt es nicht automatisch, dass jegliche Handlungen auch so waren, wie alle es wollten. Es klingt zwar komisch, aber man sich auch erst im Nachhinein darüber bewusstwerden, dass man bestimmten Handlungen im Liebesspiel eigentlich nicht wollte. Manchmal auch, weil man eben nicht wusste, wie man sich klar und deutlich ausdrücken sollte, beispielsweise weil das Machtgefälle zwischen den anwesenden Personen groß ist. Es kann auch gerade noch Spaß machen, aber dann merkt man, dass das Gegenüber etwas tut, was einem eigentlich unangenehm ist. Ich z.B. erinnere mich noch, dass ein Sexualpartner mich immer würgte kurz bevor er kam, ohne, dass ich es erwarten konnte. Ich war in der Situation so perplex, dass ich es erst zu ließ, ich versuchte auch mich körperlich zu wehren, indem versuchte seine Hand von meinem Hals zu nehmen, aber ein ausdrückliches „Nein“ kam mir nicht über die Lippen. Ich sagte es ihm einmal in Nachhinein, dass ich es nicht gut finde, wenn er das macht, daraufhin sagte er zu mir, dass ich sagen soll, dass ich das nicht will. Ich glaubte, dass ich es ihm nun deutlich gemacht hätte, aber das nächste Mal passierte es wieder, mein Nein war also überhört worden. Oder es war nicht klar genug geworden, denn oft liegt der Fehler auch in der Kommunikation, für viele Menschen, reicht ein einmaliges Nein nicht aus, sie müssen ständig daran erinnert werden, was sie machen dürfen und was eben nicht. Doch wie beurteilt ein Gericht eine solche Situation? Sind Kommunikationsmissverständnisse juristisch geregelt? Wahrscheinlich nicht. Da bleibt meist nur noch das Ermessen des Richters/der Richterin, ob das Opfer ihm/ihr wohlgesonnen ist oder nicht. Eine ähnliche Situation ist immer noch das berühmt berüchtigte „Kondom-Problem“. Ist es Vergewaltigung, wenn der Täter kein Kondom benutzt, wissentlich oder unwissentlich dem Opfer gegenüber? Im Dezember 2017 ist zum ersten Mal in Deutschland ein Mann wegen „Stealthing“ verurteilt worden, er zog während des Geschlechtsaktes das Kondom ab, ohne dass das Opfer etwas davon bemerkte. Doch was ist, wenn ich mich als Opfer schon im Vornherein nicht dagegen wehren kann, dass mein*e Sexualpartner*in kein Kondom benutzen will? Lasse ich die Penetration zu, auch wenn ich es eigentlich nicht will? Habe ich dann zugestimmt, obwohl ich mich in einer schwächeren Position empfand? So eine Situation widerfuhr mir wirklich einmal, als mein Sexualpartner versuchte ohne Schutz einzudringen, obwohl vorher abgesprochen war, dass ich ausschließlich mit Kondom verkehren will. Auch ich habe mich davor in der Situation wiedergefunden, dass sich beide Parteien einig waren sexuelle Handlungen zuzulassen. Meinem Sexualpartner war es in dem Fall nicht möglich gewesen, sich das Kondom überzuziehen, Lust hatte er trotzdem, und weil ich ihn schon geil gemacht hatte, war es für ihn legitim ohne Schutz in mich einzudringen, obwohl ich „Nein“ gesagt hatte und er sich zudem bewusst war, dass er eine eventuelle ungewollte Schwangerschaft einging. Und ehrlich, ich bin es leid von Männern zu hören, dass sie schon aufpassen und sie ihren Penis im entscheidenden Moment rausziehen, es ist doch bereits widerlegt, dass das funktioniert und trotzdem gilt der „Koitus interruptus“ für unzählige Männer als gängige Verhütungsmethode. Für Menschen denen so etwas widerfährt, bleibt letztendlich nur Scham, es zugelassen zu haben oder eine Mitschuld zu tragen, weil sie das Gegenüber verführt haben und die Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten, im schlimmsten Fall HIV. Ja, Geilheit und Lust, das lässt bei einigen Menschen den Verstand ausschalten, doch sollte man ihn doch für eine oder zwei Minuten davor wieder einschalten und sich fragen, ob man wirklich ein so ein hohes Risiko eingehen will. Und für diejenigen, die Opfer des Verstandsausschaltens des Gegenübers wurden, ist die Situation im Nachhinein umso schlimmer, insbesondere wenn es um die Frage geht, den*die Täter*in anzuzeigen. Schon der Schritt zur Polizei ist für viele eine riesige Überwindung. Eine Anzeige zu erstatten, vielleicht gegen eine Person, für die man eigentlich Sympathien hegt, der man nahe ist oder war, so etwas ist eine extrem hochschwellige und schwierige Angelegenheit. Und die Angst, nicht ernstgenommen zu werden ist nicht unberechtigt. Zu oft werden noch immer die Täter*innen geschützt, Opfern wird vorgeworfen, das Leben der Täter*innen zu zerstören, wenn sie Anzeige erstatten und es dann zum Prozess kommen sollte. Manchmal frage ich mich auch, ob sich jede*r Täter*in dessen bewusst ist, was er*sie tut. Die Linie zwischen Einvernehmlichkeit und Uneinvernehmlichkeit ist nämlich gerade im sexuellen Bereich so schmal. Aber gerade deswegen, sollte jedes kleinste Anzeichen des Gegenübers wahrgenommen werden, was andeutet, dass der*die andere die sexuellen Handlungen eigentlich nicht eingehen will oder das ihm*ihr etwas unangenehm ist. Man kann man sein Unwohlsein nicht immer in Worte packen, manchmal ist es auch nur ein Blick oder eine Geste, die ausdrückt, dass man ab hier lieber nicht weitermachen sollte. Es ist immens wichtig, sich zu vergewissern, wie es meinem Gegenüber geht, wie er*sie sich fühlt beim Liebesspiel. Dazu muss man nicht alle fünf Minuten nachfragen, wie es dem anderen gerade ergeht, aber man sollte dennoch empfänglich für die Schwingungen des anderen und für die Gesamtsituation sein. Wenn schon vorher etwas angedeutet wurde, was der anderen Person unangenehm sein könnte, dann sollte das wahrgenommen und darauf eingegangen werden. Sexualität ist nicht nur reine Triebbefriedigung. Sie ist vor allem ein kostbares Gut zwischenmenschlicher Beziehungen, ein starkes Zeichen gegenseitigen Vertrauens und auch, und das ist besonders wichtig, das Ergebnis der eigenen Moral. Man sollte sich immer fragen, wenn ich mich in die andere Person hineinversetze, würde ich das wollen und mich damit wohl fühlen? Und ja, nicht immer stimmen Eigen- und Fremdwahrnehmung überein, aber ich denke, dass sich die meisten Menschen eingestehen können, wenn sie ehrlich zu sich selbst sind, dass sie vielen nicht zustimmen würden. Und es sollte auch rechtlich geregelt sein, was mit Fällen zu tun ist und wie Täter*innen verurteilt werden können, wenn kein „erkennbarer Wille“ gegen eine sexuelle Handlung vorliegt. So schwer kann das nicht sein. Sexuelle Straftaten müssen nur neu definiert werden. Das Narrativ für Vergewaltigung muss neu geschrieben werden. Nicht allen Menschen ist klar, was Vergewaltigung eigentlich beinhaltet. Es ist nicht nur das reine „jemand hat gegen meinen Willen mit mir Sex gehabt“ und dass zwangsläufig sichtbare Gewalt damit einhergehen muss. Und noch immer ist es zu einfach für Täter*innen davon zu kommen. Und vor allem sollten das deutsche Recht und die Gesellschaft mehr Mitgefühl für Opfern von sexueller Gewalt entgegenbringen. Denn treffen könnte es schließlich jeden von uns.
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