Buchrezension "Sex, Macht und Lust - Die Frau in der Gesellschaft" von Mariana Valverde


Eine sexuelle Revolution steht in den Bücherregalen. Jedoch haben sie bis jetzt nur wenige herausgenommen und gelesen. Und so scheint sie zu verstauben und der wahre Feminismus bleibt in der heutigen Zeit durch Talkshowauftritte und Twitter Hashtags verdeckt. Doch wenn wir alle beginnen würden, das Werk welches Valverde geschaffen hat, zu lesen und zu verstehen, wären sicher einige Diskussionen in den Sozialen Medien bereits überflüssig. 


 
Geschrieben wurde das Buch von Mariana Valverde. Sie wurde in den 1950ern geboren, wuchs in Spanien auf und lebt seit Ende der 60er in Kanada. Seit Mitte der 70er Jahre ist sie in der Frauenbewegung aktiv. Obwohl das Buch im Jahre 1987 verfasst wurde, liest es sich so aktuell wie nie. Und beim Lesen kommt die Frage auf: War Valverde ihrer Zeit voraus oder sind wir seitdem in der Stagnation verblieben? Das Buch untergliedert sich in sieben Kapitel, die alle ein bestimmtes Thema ansprechen. Das bietet eine große Reichweite für viele sexuelle Themen. Ich beschränke mich in der Rezension die Kapitel zwei bis fünf zu thematisieren, da dies für mich die relevantesten Themen sind und sonst der Rahmen für die Rezension gesprengt werden würde.
Im Kapitel zwei, welches sich mit der Heterosexualität auseinandersetzt, hinterfragt Valverde kritisch das gängige heterosexuelle Ehemodell und macht klar: Die Heterosexualität sowie sie gerade existiert steckt in einer Krise. Denn, Frau und Mann müssen nicht zwangsläufig füreinander geschaffen sein, die Vagina ist mehr als das bloße „Gefäß“ für den Penis, sondern besteht in einer unabhängigen Existenz zu dem männlichen Geschlechtsteil. Zudem wird die vaginale Sexualität als passiver Akt beim Geschlechtsverkehr gesehen und somit wird die weibliche Sexualität in den Hintergrund gerückt. Heterosexualität sei kein auferlegtes Schicksal, meint Valverde und sieht den die gängige Sexualität zwischen Frau und Mann sogar als Ideologie an. Sie hinterfragt die Gegensätze der Heterosexualität und das Prinzip „Topf passt auf Deckel“ oder „Schlüssel passt ins Schloss“. Menschen würden somit entmenschlicht und nur ihr sexuelles Organ betrachten werden, so Valverde. Sex ist nämlich weitaus mehr als eine reine Fortpflanzungsabsicht. Jeder Mensch hat eigene individuelle Bedürfnisse und ist nicht bloße eine Marionette von Mutter Natur. Wir sollten unsere Verschiedenheit und Andersartigkeit aufrechterhalten, lautet der Leitfaden des Buches. Valverde macht weiter klar, dass alleinstehende Frauen als ein Mangel angesehen werden, den sie durch eine Partnerschaft ausgleichen müssen. Es wird klar, dass Valverde nicht nur für eine sexuelle Befreiung der Frau kämpft, sondern auch für die komplette Unabhängigkeit der Frau gegenüber dem Mann. Eine Frau soll in der heutigen Zeit selbst entscheiden können, welcher Lebensstil der richtige für sie ist und dass es kein Makel ist, wenn man nicht den klassisch-konservativen Weg wählt, sondern, dass es genauso richtig ist, sich für ein Leben zu entscheiden, welches dem klassischen Bild einer Familie widerspricht.  Das bekommt der/die Leser*in noch einmal mehr im darauffolgenden Kapitel zu verstehen. Valverde setzt sich intensiv mit der Homosexualität der Frau auseinander. Sie möchte vor allem in diesem Kapitel mit den Vorurteilen, die dem Lesbischsein immer noch zugeschrieben werden, aufräumen. Eine Selbstverständlichkeit für ihre Sexualität dürfen sich Lesben auch heutzutage immer noch nicht zuschreiben. Lesbische Frauen bekommen immer noch viel Gewalt zu spüren und werden gesellschaftlich unterdrückt. Homophobie ist bis heute ein gesellschaftliches Problem, welches Lesben ausgesetzt sind, auch oder gerade, wenn sie nicht das typische Bild einer Lesbe wiedergeben. Das Buch thematisiert zudem die Unsichtbarkeit von Lesben und dass dies ein Problem sei, da somit nicht ausreichend klar wird, dass Liebe zwischen Frauen existiert und lesbischer Sex immer noch eine Art Mythos ist. Lesbischsein ist so gut wie unsichtbar, es wird in der Öffentlichkeit nicht propagiert, Lesben haben keinerlei Vorbilder an die sie sich wenden können. Auch heutzutage gibt es, gerade im Bestand der sozialen Medien, verhältnismäßig wenig Aufklärung über Lesbischsein, es wird dem Thema kaum raumgegeben. Für lesbische Frauen ist es noch eine größere Hürde, eine passende Partnerin zu finden, als für die heterosexuellen Frauen auf der Suche nach einem passenden Mann. Valverde vertritt die Ansicht, dass lesbischer Sex viel Potential hat und sehr vielseitig ist (ja sogar, dass lesbischer Sex für Frauen mehr von Vorteil sei, als heterosexueller). Mit Frauen wäre es leichter loszulassen und sich verletzlich zu zeigen, als bei Männern in heterosexuellen Beziehungen, so Valverde. Lesbischsein hätte in mehreren Facetten viele Vorteile für eine Frau.
Eine weitere Gruppe wird von Valverde thematisiert. Die Bi-Sexualität. Diese wird sowohl von Heterosexuellen wie auch von Homosexuellen wenig toleriert. Es scheint, als würden Bisexuelle zwischen den beiden Sexualitäten hin und her springen, wie es ihnen gerade passt. Bisexuelle würden in der Öffentlichkeit ihre Heterosexualität ausleben und im Privaten sich ihrer Homosexualität hingeben und würden sich somit einer Diskriminierung, die Homosexuelle tagtäglich erleben, widersetzen. Selbst Valverde stimmt dieser Ansicht zu, dass diese sich immer wieder bestätige. Bisexuelle haben mit moralischen und politischen Problemen zu kämpfen, wenn sie ihre homosexuelle Seite ausleben, aber gleichzeitig die Privilegien der Heterosexualität genießen. Valverde meint, bisexuelle Frauen sollen sich in dem Zuge gegen die Unterdrückung von Lesben einsetzen und laut werden. Es ist von wichtiger Bedeutung zu wissen welche Einstellung bisexuelle Frauen haben, wie sie ihre Meinung in der Öffentlichkeit vertreten, wie sie zu Feminismus stehen. Dennoch sind Menschen, die bisexuell sind von enormer Wichtigkeit für die Gesellschaft. Sie brechen die starren Grenzen, dass es ausschließlich nur heterosexuelle und homosexuelle Menschen gibt und zwingen Menschen dazu ihre Bedürfnisse und die eigene Sexualität zu hinterfragen.
Ein weiteres Thema, welches sich Valverde widmet, ist die Pornographie. Valverde analysiert klar, worauf Pornografie ausgelegt ist, die Machtgefälle zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht darzustellen. Die Gefühle, die Assoziationen die aufkommen, wenn man ein vermeintliches pornografisches Bild betrachtet, diese sind immer aus dem sozialen Kontext indem wir uns befinden zu ziehen. Da in unserer Gesellschaft das Patriachat herrscht, werden andere Gefühle in uns erzeugt, wenn wir eine Frau sehen, die einen Mann befriedigt als bei einem Bild auf dem ein Mann eine Frau befriedigt. Macht und Unterwerfung der Frau sind in Pornos nun einmal von essenzieller Bedeutung, da sie vor allem die männliche Lust ansprechen sollen. Die Gesellschaft erzeugt Rollenbilder und somit ist auch die Macht, die ein Mann über eine Frau hat, sozial konstruiert. Diese Herrschaft wird mithilfe von Pornos erotisiert. Valverde geht sogar noch einen Schritt weiter und meint, dass klassifizierte und rassistische Machtgefälle sexuelle Handlungen darstellen und somit pornografisch sind.
Valverde schafft es mit ihren Argumenten den/die Leser*in zum Nachdenken anzuregen und die Welt aus einer feministischen Sicht zu sehen. Dies macht sie aber ohne den belehrenden Zeigefinger, der viele in der heutigen Debatte stört und sich somit viele, die sich unter Umständen in einigen Themen ihre eigenen Handlungen kritisch hinterfragen würden, in der eigenen Freiheit eingeschränkt fühlen. Die Themen in dem Buch sind vielfältig und immer noch hochaktuell. Hochargumentativ werden einzelne Themen analysiert und aus einer feministischen Weise betrachtet. Durch den Blick durch die feministische Brille wird dem/der Leser*in schnell bewusst, welche patriarchalischen, sexistischen und auch rassistischen Strukturen in der Gesellschaft herrschen, auch dort wo sie niemand vermutete. Minderheiten werden sich in diesem Buch verstanden fühlen, die Autorin vertritt klare Positionen für unkonventionelle Lebensweisen, für Menschen, die in der Gesellschaft ihren Platz noch nicht finden konnten. Valverde gibt einen praktischen Leitfaden mit an die Hand, wie wir mit Machtgefällen umgehen können und macht klar, dass die Privilegierten gegenüber Minderheiten eine klare Pflicht haben sich für diese einzusetzen und Partei zu ergreifen. Das Buch deckt eine enorme Themenvielfalt ab und geht über gängige Themen wie Hetero-, Homo-, oder Bisexualität noch weitere Schritte in der sexuellen Debatte hinaus, bspw. über die Ethik und das Begehren. Valverde macht zudem deutlich, dass sie durchaus sexuelle Handlungen, die von Frauen durchaus gerne praktiziert werden, zwar akzeptiere, aber für den politischen Kampf nicht für sinnvoll hielte (z.B. sich fesseln lassen). Dies ist ein Punkt, den man in dem Buch kritisch beäugen könnte, da dies die subjektive Meinung der Autorin ist. Wichtig ist dennoch, die Freiheit anderer Individuen nicht durch die sexuelle Handlung, die man bevorzugt und auslebt einzuschränken. Für den einen lustvollen Moment darf man durchaus auch mit Tabus brechen, wenn es der eigenen Lust dient. Trotzdem sollte man sich damit nicht den politischen Kampf um Gleichberechtigung entziehen.
Geschrieben ist dieses Buch für alle, die sich für den Feminismus interessieren, die ihren Horizont in der feministischen Debatte erweitern wollen und mehr Selbstbewusstsein für die eigene Person erlangen möchten. Denn der Platz einer Frau in der Gesellschaft ist bis heute noch nicht klar definiert. Dieser könnte nach dem Lesen des Buches eindeutiger werden. Trotzdem es sicher noch eine lange Zeit brauchen wird um mit dem traditionellen Bild von Frau und Mann zu brechen. Es braucht nun einmal Konflikte um uralte Verhaltensmuster mit neuen Ideen für eine moderne Gesellschaft zu ersetzen. Dieses Buch ist ein großer Schritt für die Frau und alle anderen Individuen, für eine gleichberechtigte Gesellschaft. Wenn es doch nur mehr in die Mitte der aktuellen Debatte gerückt werden würde.

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